Technisch gesehen, ist das Jetzt eine sensationelle Zeit für die Fotografie. Jeder ist in der Lage mit den heutigen Aufnahmegeräten erstklassige Abbildungen zu erstellen. Das Internet hilft bei der Verbreitung und ebenfalls können unerfahrene Menschen eine Fülle an Lehrmaterial in diesem Pool finden. Auch die Messlatte bei der Qualität liegt mittlerweile ziemlich hoch. Perspektive und Vintage-Effekte sind ausgesprochen populär geworden. Gleichzeitig entsteht eine ungeheure Inflation, die meisten Aufnahmen haben eine nur winzige Halbwertszeit. Sie flackern im kollektiven Kurzzeitgedächtnis der sozialen Medien auf und helfen, den weltweiten digitalen Garten zu düngen.

GPS verhilft vielen Motiven, jederzeit unter leicht veränderten Rahmenbedingungen von anderen Fotografen „wiederholt“ zu werden. Nicht zu vergessen sind rechtliche Hürden. Es kann problematisch sein, Menschen auf der Straße zu fotografieren. Die unschuldigen Zeiten sind vorbei, in der Schweiz will man sogar eine Landschaft unter eine Art Urheberrecht stellen. Oder war es in Österreich?

Die Programmierung unseres Bildverständnisses vollzieht sich zunehmend unterbewusst neben dem eigentlichen Lernprozess, so dieser vorhanden ist. Durch Fernsehen, Kino und Werbung und nicht zuletzt das Netz werden wir in eine Einbahnstraße der perfekten Bildwelt entlassen. Dies hat durchaus Vorteile, denn noch nie wurden so viele Fotos gemacht. Selbst komplexe Collagen, heute Composings genannt, sind für ambitionierte Amateure kein Problem mehr. Es entstehen surreale Looks, die sich durchaus sehen lassen können. Ein Fest für die Augen und dennoch oft genug ohne tiefere Bedeutung.

Bewegen wir uns in der menschlichen Welt einer Stadt, bewegen wir uns routiniert. Wir denken nicht über jeden Schritt nach, wir gehen fast automatisch. Visuell nehmen wir, medial geprägt, nur Teile unserer Umwelt wahr. Dies kann durchaus auch soziologische Ursachen haben. Die meisten Menschen haben kein Bedürfnis, den langweiligen, unangenehmen Facetten des Stadtbildes erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Den bedrohlichen Aspekten, die von Menschen, Gebäuden und Stadtteilen ausgehen können. Es ist ein normierter Tunnelblick, welcher uns nur einen Bruchteil der visuellen Realität wahrnehmen lässt. Dennoch kann ich versichern, dass die wirklich spannenden Sachen (in unseren Köpfen) oft abseits des Mainstreams liegen.

Kinder erlernen auf Schritt und Tritt ihr kreatives Potential zu entdecken. Bei der Ostereiersuche suchen sie nach Unterbrechungen im Umgebungsmuster. Bekommen Kinder Geschichten erzählt oder vorgelesen, entstehen Bilder im Kopf. Aktiv durch eigene Ideen und passiv beim medialen Input lernen sie ständig dazu. Hinderlich in dieser Phase kann neben Bequemlichkeit auch Konsum sein. Werden Kinder früh mit medialem, im schlimmsten Fall mit Werbung durchsetzen Schrott konfrontiert, stellt sich schnell ein katonischer Zustand ein. Die vorkonsumentale Phase. Der Wunsch, sich hinaus in die (zum Beispiel in den Städten) auch unschöne und unsichere Realität zu begeben, wird so auf Sparflamme gehalten. Seit der Wende sind zudem die Häuser abgeschlossen, man kann nicht mehr in den Hinterhöfen spielen.

Für mich wurde es in den vergangenen Jahren höchste Zeit, den Bereich reiner Abbildung zu verlassen. Die Welt schrumpft, Motive, die sich durch Seltenheit definieren, sind am Aussterben. Was mich betrifft, habe ich neben fotografischen Vorbildern auch Vorbilder in der Malerei. Der malerische Bereich bekam Updates durch Abstraktion und durch die sich rasant verändernde Umwelt.

Kunst ist eine zutiefst menschliche Sache. Vor einigen hundert Jahren galt sie noch als Handwerk. Sie betraf die menschliche Sicht der Dinge. Sie war fassbar, obwohl Bosch sicher nicht der Erste war, der beunruhigende Neuerungen in seinen Bildern auftauchen lies. Auch in kirchlicher Malerei waren Abbildungen der Hölle der Pool, in welchem menschliche Phantasie ungestört wuchern konnte. Die Abbildungen von Moritaten auf Jahrmärkten waren schon im Mittelalter (und früher?) eine Tür zur späteren Entwicklung von Karikaturen und Comics. Im zwanzigsten Jahrhundert kam die gesamte Penetranz des menschlichen Alltags beispielsweise in den Suppendosen von Warhol an die Oberfläche. Technisch gesehen waren seine Siebdrucke sicher nicht geeignet, Fachleute aus dem polygrafischen Bereich zu begeistern, dies hat erst Rudolf Hausner ausloten können. Hausners Siebdrucke waren und sind die Grenze des heute Machbaren, den künstlerischen Siebdruck betreffend.

Kunst ist ein Gegenteil von HDR. HDR wird es noch eine Weile geben, bis die Kamerasensoren diese Krücke überflüssig machen werden. Torsten Warmuth (http://www.torsten-warmuth.com) sagte in unserem ersten Gespräch, dass sich kaum noch jemand traue, die Tiefen in einem Bild versacken zu lassen. Als es dank der analogen Aufnahmetechnik oft unvermeidlich war, ärgerte ich mich über genau diese Schwäche der Emulsion. Schließlich sahen meine Augen mehr! Folgen wir der Kamera von David Lynch, sind unsere Sinne in heller Aufregung. Im Dunkel lauern verstörende Dinge, auch wenn sie nur kurz zu sehen sind, können in seinen Filmen Menschen, Räume, Alltagsgegenstände, profundes Unbehagen verursachen. Denn dahinter ist mehr. Viel mehr. Wir sehen es nicht, jedenfalls nicht genau, aber unsere Software erledigt den Rest. Mancher träumt später davon. Er träumt, zu sehen, was in dem Zimmer ist. Am Ende des Flurs. Im Kopf des so seltsam lächelnden Mannes.
HDR verwandelt alles in eine klinische Abbildung oder in bunten Talmi. Allerdings lassen sich HDR Programme der komplexeren Art dennoch für subversive Überlagerungen missbrauchen, die die Grundidee dieser Technik aushebeln.

Wie viele Aufnahmen benötige ich, um ein Bild zu erzeugen? Manchmal nur eine. Es können auch bis zu hundert sein. Zur Zeit versuche ich mit dutzenden Aufnahmen durch Überlagerung und diversen anderen Techniken eine räumliche, manchmal fast malerische Tiefe zu erreichen. Heilig ist mir dabei nichts. Schon die Wahl des Bildausschnittes ist Manipulation. Man richtet das Auge der Betrachter auf den selbst gewählten Bildausschnitt. Da kann man ebenso Bildteile arrangieren, verzerren, etc. Andreas Trogisch (http://www.andreastrogisch.de/) vermeidet es, etwas an der Bildaussage zu verändern, indem er etwas aus dem Bild entfernt oder hinzu tut. Dennoch macht er authentische, unbequeme, zuweilen verstörende Bilder. Und ja, er lässt die Tiefen auch mit digitaler Technik versacken. Was im Dunkel ist, soll unsere Software uns erzählen. Wir programmieren jeden Tag an ihr herum, der Assoziationspool eines Menschen kann abhängig vom Erlebten, Gesehenen, Gehörten riesig sein. Und es lauern überall Geheimnisse verschiedenster Art.

In der Musik kann man dichte Klangschichtungen bei Amon Tobin, Brian Eno bis hin zu ernster moderner Musik von Georgi Minchev beobachten. Beinahe holografisch. Und die Holografie (ohne Laserprojektion) kommt. Eine völlig neue Geschichte. Vor fast hundert Jahren malte Lyonel Feininger mit einer Melange aus Sruktur, Abstraktion, Licht und einer wundervollen Farbigkeit großartige abstrakt collagierte Bilder. Er hätte Photoshop geliebt.